Nach den Lockerungen der Corona-Massnahmen im Sommer 2020 fühlten sich 40 Prozent der Bevölkerung nach wie vor gestresster als vor der Pandemie. Das zeigte die Auswertung der Umfrage «Swiss Corona Stress Study» der Universität Basel. Derzeit befinden wir uns in der nächsten angespannten Phase, die sich erneut auf unsere Psyche auswirkt. Doch machen wir uns nichts vor: Unser Stressniveau war bereits vor der Corona-Krise auf ansteigendem Kurs. Woher kommt das und was können wir tun?
Stress entsteht in unseren Gedanken
Obwohl wir die Ursachen häufig gerne ausserhalb suchen, muss hier gesagt werden: Stress entsteht in unserem Kopf. Es ist nicht der Stau, in den wir auf dem Weg zur Arbeit geraten, die Abgabe, die in zwei Tagen ansteht, oder das Feedback der Führungsperson. Es sind unsere Gedanken, die uns sagen, dass wir jetzt Stress empfinden. Wir geraten in eine bestimmte Situation und bewerten diese – je nach Tagesform, der eigenen Persönlichkeitskonstellation und bisherigen Erfahrungen – innerhalb von Millisekunden. Fällt unsere Bewertung negativ aus, wird Stress ausgelöst. Nehmen wir das Beispiel des Staus: Sicherlich kann man sich davon stressen lassen, eventuell zu spät zu einem Meeting zu kommen. Kann ich aktuell etwas daran ändern? Nein. Daher kann ich mich auch aktiv dafür entscheiden, mich zu ent-stressen, indem ich beispielsweise meine Lieblingsmusik einlege und die Zeit für mich geniesse. Die eigene kognitive Einschätzung einer Situation als Stressauslöser ist ein essenzieller Baustein der Stressforschung: Stress entsteht durch unsere Einschätzung und Bewertung einer Situation. Wenn ich nun diejenige Person bin, die durch meine Gedanken Stress hervorruft, kann ich auch diejenige Person sein, die Stress verringern kann. Setzen wir also bei der Einschätzung der Situation an. Ich erhalte von meiner Führungsperson Verbesserungsvorschläge für meine Arbeit. Dies könnte ich nun als negativ werten. Ich kann mich doch aber auch darüber freuen, dass mir soeben jemand einen Tipp gegeben hat, wie ich etwas besser machen kann. Wieso also freuen sich viele Menschen in dieser Situation eher weniger über eine solche Rückmeldung?
Fühl dich nicht persönlich angegriffen
Oftmals hängt Stressempfinden mit der eigenen Identifikation zusammen. Wir identifizieren uns über unsere Gedanken, unsere Handlungen, unsere Vorstellungen, wie wir denken, sein zu müssen, und vieles mehr. Doch durch diese starke Identifikation fühlen wir uns sehr schnell persönlich angegriffen, wenn jemand etwas gegen unsere Gedanken oder Handlungen sagt. Und ja, dies wiederum löst Stress aus. Je mehr wir uns von diesen starken Identifikationen lösen können, indem wir uns zum Beispiel nicht über unsere Gedanken definieren, desto freier und weniger angreifbar sind wir. Konkret sollten wir demnach Verbesserungsvorschläge für unsere Handlungen oder Gedanken nicht auf unsere Person beziehen. Dadurch fühlen wir uns nicht persönlich angegriffen, und es wird weniger Stress ausgelöst.
Zusätzlich zu starken Identifikationen hat jede Person ihre eigenen «wunden Punkte». Dies sind Themen oder bestimmte Situationen, auf die jemand besonders stark reagiert. Diese «wunden Punkte» werden durch Erfahrungen und unsere Lerngeschichte geprägt. Sie führen dazu, dass spezifische Situationen, die objektiv gesehen nicht oder wenig stressend sind, als äusserst stressend empfunden werden. Ein Beispiel dafür ist, wenn Kolleg:innen nicht fragen, ob man mit ihnen Mittagessen gehen möchte. Dies zeigt, dass verschiedene Situationen von Personen unterschiedlich stressend wahrgenommen werden und dass Stressempfinden sehr individuell ist.
Sind die Anforderungen an mich selbst realistisch?
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage nach den eigenen Anforderungen. Was sind meine Anforderungen, die ich an mich selbst stelle? Sind sie realistisch? Müssen wir immer alles perfekt machen? Oder erlauben wir uns, Fehler zu machen und diese sogar positiv zu betrachten, da wir möglicherweise daraus lernen können?
Stelle dir zum Vergleich den besten Freund, die beste Freundin oder eine Person vor, die du sehr magst. Hast du die gleichen Anforderungen an diese Person? In der Regel erwarten wir von anderen sehr viel weniger und haben eine höhere Fehlertoleranz als uns selbst gegenüber. Sei dein:e eigene:r beste:r Freund:in und schraube deine Anforderungen an dich selbst auf ein realistisches Niveau.
«I am the master of my fate: I am the captain of my soul»
Wir denken, es ist wichtig, bewusst auf sich selbst zu hören und die eigenen Muster zu erkennen: Identifiziere Stresssituationen, beobachte, welche Gedanken in diesen Situationen aufkommen, und steuere aktiv dagegen, indem du die Situation positiv oder zumindest neutral einschätzt. Ganz nach dem Auszug aus dem Gedicht «Invictus», das Nelson Mandela oft zitierte: I am the master of my fate: I am the captain of my soul.
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Quellen
- https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Stressniveau-bleibt-f-r-viele-auch-nach-Lockerung-der-Corona-Massnahmen-erhoeht.html
- Henley, W. E., editiert durch Quiller-Couch, A. (1931). Invictus. Oxford Book of English Verse 1250-1900. Oxford, England. Clarendon Press.
Autorin

Stephanie Bender
Human Resources