Der Diskussion um Nachhaltigkeit kannst du dich heute kaum entziehen. Doch welche Skill Sets werden benötigt, um Unternehmen wirklich nachhaltig zu machen? Sich ausschliesslich auf Skills zu konzentrieren, ist dabei nicht immer zielführend.
Das Interesse am Thema Nachhaltigkeit ist seit einigen Jahren konstant hoch und hat weiter zugenommen. Ein Blick auf Google Trends zu den „Sustainable Development Goals“ liefert ein klares Bild. Ein Fun Fact dazu: Immer an Weihnachten und in den Sommerferien nimmt das Interesse am Thema stark ab.
Trotz des anhaltenden Interesses wurden in vielen Ländern echte Antworten bisher vor allem hinausgeschoben. Anders lässt sich nicht erklären, warum ein durchschnittlicher Pkw in der Schweiz noch immer 120 g CO₂/km ausstösst oder warum 75 Prozent der Schweizer Gebäude weiterhin mit Erdöl oder Erdgas beheizt werden. Wenigstens ist der Strom in der Schweiz, was den CO₂-Ausstoss angeht, noch sauber.
Die Situation in Deutschland ist noch absurder: Fast 40 Prozent des Stroms werden dort immer noch mit Kohle oder Erdgas produziert und es gilt weiterhin als hip, mit 200 km/h über die Autobahn zu rasen und dabei 20 Liter pro 100 Kilometer zu verbrennen. Grün zu sein ist zwar angesagt, doch häufig wird erwartet, dass sich lieber die Nachbar:innen darum kümmern – nicht nur in der Schweiz oder Deutschland, sondern in ganz Europa. Ausser vielleicht in Dänemark, aber dazu später mehr.
Was bisher oft gefehlt hat, ist ein echter Impuls, der das Thema Nachhaltigkeit voranbringt.
Corona als Impuls für die Digitalisierung
Ein ähnlicher Verlauf zeigte sich bereits in einem anderen Thema – der Digitalisierung. Ein Beispiel aus dem HR: Viele Unternehmen leisteten sich teure, ineffiziente Prozesse und hatten hohe Fluktuationen. Doch niemanden interessierte es wirklich, da die Kosten irgendwo im Overhead versteckt waren. Dann kam Corona und plötzlich wurde klar, dass Mitarbeitende nicht einfach nach Hause geschickt werden können, obwohl es nötig war.
Auf einmal sprudelten die Investitionen. In Hauruck-Übungen wurden Prozesse digitalisiert. Ob die Mitarbeitenden im HR und darüber hinaus die Fähigkeiten dafür hatten, fragte niemand. Die Konsequenzen nahm man in Kauf: hohe Projektkosten, suboptimale Kaufentscheidungen, Überforderung und vieles mehr. Dabei wäre das nicht nötig gewesen. Dass etwas getan werden müsste, war schon lange klar.
Was der Trigger oder Impuls im Thema Nachhaltigkeit sein wird, ist schwer abzuschätzen. Es wird wohl nicht einen einzigen, sondern je nach Industrie unterschiedliche Impulse geben. Doch diese werden kommen. Beispiele gibt es bereits viele: ein Verkaufsverbot von Verbrennungsmotoren, Ölheizungen oder Plastikverpackungen, oder massive Preisanstiege. Schon jetzt ist klar, dass diese Impulse stark sein werden und ganze Industriezweige auf den Kopf stellen können.
Die Frage ist, was du heute schon tun kannst, um dich darauf vorzubereiten. Eine umfassende Antwort aus Gesamtunternehmenssicht zu geben, wäre wohl vermessen. Aus der Perspektive des HR ist die Antwort jedoch relativ klar: Setze auf die richtigen Mitarbeitenden und bereite sie vor – mit dem richtigen Mindset und Skill Set.
Mindset: Die Denkweisen, Überzeugungen und Haltung eines Menschen, wie beispielsweise Offenheit für Neues.
Skill Set: Das Kompetenzprofil einer Person, wie beispielsweise Fachwissen zu Verbrennungsmotoren.
Mindset versus Skill Set
Welches Skill Set in welcher Branche und welchem Unternehmen genau benötigt wird, ist oft schwer zu beantworten. Wäre ich der CEO von VW, wäre für mich die wichtigste Frage: Wie komme ich möglichst schnell an die besten Softwareentwickler:innen der Welt? Und zwar am besten schon gestern.
Das Positive für CEOs ist, dass sich Skills erlernen oder teilweise wie eine Ware einkaufen lassen. Beim Mindset sieht das anders aus. Ein Beispiel: Im vergangenen Sommer lief in der Schweiz eine Pflegeinitiative, um die Arbeitssituation der Pflegenden in Spitälern zu verbessern. Eigentlich begrüssenswert, aber gleichzeitig traurig, in welchem Mindset viele Teile der Branche feststecken. Ein Satz aus dem Initiativtext lautet: „Sie stellen sicher, dass eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen für den zunehmenden Bedarf zur Verfügung steht und dass die in der Pflege tätigen Personen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden.“
Das klingt nach Ressourcenplanung. Nach einem Mindset, bei dem Mitarbeitende wie Produktionsmaterial verwaltet und eingesetzt werden. Dieses Denken ist in der Schweiz allgegenwärtig. Mit einem solchen Mindset ist es unwahrscheinlich, dass sich die Arbeitssituation der Pflegenden wirklich verbessert. Während der Coronakrise kollabierte dieses starre System der Ressourcenplanung und Hierarchien in vielen Regionen vollständig. Mit einem anderen Mindset – etwa dem Teilen von Mitarbeitenden über Spitäler hinweg, Selbstorganisation und mehr Wertschätzung – hätten manche Effekte zumindest abgefedert werden können.
Sich ausschliesslich auf Skills zu konzentrieren, um ein Unternehmen nachhaltig zu machen, ist daher nicht unbedingt zielführend. Martin Winterkorn, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von VW, hätte damals noch so viele Elektroingenieur:innen einstellen können – sie hätten mit dem Mindset „Benzin im Blut“ der Geschäftsleitung keine Chance gegen Tesla gehabt.
Mit Herbert Diess, dem neuen Vorsitzenden, hat sich das geändert. Auch er ist Maschinenbauer, doch sein Mindset ist anders: Er ist ein Umbauer, kein Verzögerer – jemand, der sich von Verbrennungsmotoren verabschieden möchte. Die Aktionär:innen freuen sich (+55 % in fünf Jahren), auch wenn es noch ein weiter Weg ist, um Tesla einzuholen. Bei BMW weht dagegen noch ein anderer Wind: Dort setzt man weiterhin auf Plattformen, die für alle Antriebsarten ausgelegt sind. Die Aktionär:innen sind weniger begeistert (+9 % in fünf Jahren), auch wenn Oliver Zipse, der amtierende Vorstandsvorsitzende von BMW, eigentlich gelernter Informatiker ist und die nötigen Skills hätte.
Ferien in Dänemark
Und nun nochmals zurück zu Dänemark. Dort zeigt sich, dass Kultur oder eben das Mindset wirklich einen Unterschied machen können. Dänemark ist insbesondere durch die niedrige Sterblichkeitsrate vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die die Krankenhausstrukturen verschiedener Länder während Corona untersucht hat, bestätigt dies: „Hervorzuheben ist, dass die Definition von Spezialisierung im dänischen Gesundheitssystem nicht statisch ist, sondern sich dem technologischen Wandel und den erworbenen Kenntnissen des Personals anpasst.“
Das Resultat spricht für sich: Dänemark konnte die Kapazitäten schnell ausweiten und später wieder zügig in einen regulären Betrieb übergehen. Dadurch konnte der „Operationsstau“ rasch abgebaut werden.
Auch in Sachen Klimawandel geht Dänemark voran und macht diesen sogar zu einem Geschäftsmodell. Für 28 Milliarden Euro werden gigantische Windparks in der Nordsee gebaut, um den Energiehunger der südlichen Nachbarn zu stillen.
Nicht ganz ernst gemeint, aber vielleicht eine spannende Idee: Wie wäre es, deine Mitarbeitenden nach Dänemark in die Ferien zu schicken, um sie auf Wandel vorzubereiten?
Autor

Philippe Dutkiewicz
Management, HR Strategies